Daskalos – ein Nachruf
Von Günther Zwahlen Aus: Aus dem “Goetheanum” Nr.34 3. Dezember 1995

Am Abend des 26. August dieses Jahres starb in seinem Heim auf Zypern in Strovolos, einem Stadtteil von Nicosia, im Alter von fast 83 Jahren (geb. 12. Dezember 1912) der als Daskalos bekannte Weise und Heiler. Er starb etwa vierzehn Monate nach einem Schlaganfall, den er kurz nach der Rückkehr von einer Vortragsreise durch Europa, Nord- und Südamerika erhalten hatte, und in dessen Folge er seither halbseitig gelähmt war, jedoch bei vollem, klaren Bewusstsein.

Daskalos war ein spiritueller Lehrer mit einem weltweiten Schülerkreis. Seine Schüler nannte er “die Wahrheitsforscher”. Nie aber wollte er ein Guru sein und hat es ausdrücklich untersagt eine Bewegung unter Verwendung seines Namens zu bilden. Er lehnte jeden Personenkult strikt ab. Er war Daskalos. Lehrer. Jeder sollte seine eigene Wahrheit suchen. Er gab Rat und Anweisung dazu.

Daskalos mit bürgerlichem Namen Stylianos Atteshlis, war auf Zypern geboren und aufgewachsen, war jedoch väterlicherseits englisch — schottischer Abstammung. Seine Mutter war Griechin. Sein Vater war Admirals der britischen Mittelmeerflotte, mit Sitz auf Zypern. DaskalAos war ein ausserordentlich vielseitig begabter Mensch. Er besass drei Doktortitel, hatte ein Diplom für Violine, ein Diplom für Klavier, war in jungen Jahren ein Preisträger als Kunstmaler und vor dm zweiten Weltkrieg ein bekannter, griechisch schreibender Schriftsteller. Er war auch Major der britischen Armee.

Daskalos war mit einem umfassenden Bewusstsein geboren, bewegte sich mit Selbstverständlichkeit in den Welten diesseits und jenseits der Schwelle. Er verfügte über Fähigkeiten, die im besten Sinne magisch genannt werden müssen.

Weltweit bekannt geworden ist er Ende der achtziger Jahre durch die drei Bücher des amerikanischen Soziologen zypriotischer Abstammung Kyriacos C. Markides. Sein erstes Buch “Der Magus von Strovolos” (deutsch: Knaur Tb 4174), in dem die Fähigkeiten, Taten und Lehren von Daskalos aus eigenem Miterleben des Autors dargestellt sind, wurde von Daskalos ausdrücklich gebilligt. Das zweite und dritte Buch lehnte er ebenso deutlich ab.

Daskalos, ein tief religiös gesinnter Mensch, war ein Lehrer der bedingungslosen Liebe: der LiebAe zu Gott, der Liebe zum Nächsten, der Liebe zu sich selbst (vergleiche Markus 12.29 — 31). Er pflegte ein esoterisches Christentum und legte ausdrücklich Wert darauf Christ zu sein. Dies nicht in einem einengenden Sinn. Er hatte Verständnis und Achtung für alle Religionen. Dennoch kam er durch sein Lehren und Handeln gelegentlich in Konflikt mit der orthodoxen Kirche. Man wollte ihn sogar- als Magier — exkommunizieren, was von Erzbischof Makarios, mit dem er befreundet war, gerade noch verhindert werden konnte.

Es ist nicht verwunderlich, dass nach dem weltweiten Bekanntwerden von Daskalos durch die Bücher von Markides ein unablässiger Strom von Besuchern nach Zypern entstand. In seiner Stoa, dem Vortragsraum, hielt Daskalos seine Vorträge und Belehrungen für Besucher und Schüler und heilte viele Kranke und gebrechliche Menschen an Leib und Seele — wenn es ihr Karma zuliess. Für ihn waren Reinkarnation und Karma selbstverständlich. Doch nie liess er sich für eine Heilung oder Beratung bezahlen, und auch seinen Schülern hat er untersagt, sich für A esoterische Belehrung, für Lebensberatung, für Heilung, usw. bezahlen zu lassen.

Zu den Menschen, die bei Daskalos Rat, Heilung und Belehrung suchten, gehören auch viele Mitglieder der Anthroposophischen Gesellschaft.

Seit Sommer 1990 besuchte Daskalos alljährlich auch die Schweiz zu Vorträgen, zuletzt im Frühjahr 1994. (Ein von ihm gewünschter Besuch im Goetheanum kam leider nicht zustande).

Im Frühjahr 1990, nachdem ich Menschen begegnet war, die von Daskalos geheilt worden waren, und nachdem ich von vielen anthroposophischen Freunden über Daskalos befragt worden war, kam ich mit einer seiner Schülerinnen in der Schweiz ins Gespräch. Mich interessierte auch, wie Daskalos sich zu Rudolf Steiner und der Anthroposophie stellte. Anlässlich eines solchen Gesprächs wurde ich, übermittelt durch seine Schülerin, von Daskalos zu einem persönliche Gespräch eingeladen. Es fand am 13. August 1990 in der Schweiz statt. Aus diesem Gespräch sollte hier ein paar Einzelheiten wiedergegeben werden. (Das Gespräch fand in Englisch statt. Die folgenden Zitate von Daskalos, A in Anführungszeichen gesetzt, zum Teil ins Deutsche übersetzt, wurden wörtlich so gesprochen. Andere Aussagen von Daskalos sind inhaltlich wahrheitsgemäss wiedergegeben.)

Das Gespräch begann damit, dass Daskalos mich nach meinen Verhältnissen fragte. Ich berichtete, dass ich seit bald vierzig Jahren Mitglied der Anthroposophischen Gesellschaft sei, die von Rudolf Steiner begründet wurde. Hier unterbrach er mich mit der Bemerkung: “Das ist sehr gut, das ist ausgezeichnet.” Ich berichtete dann weiter über meine Tätigkeit innerhalb der Anthroposophischen Gesellschaft.

Daskalos nun: Er kenne Rudolf Steiner schon sehr, sehr lange, und stehe in regelmässigem Kontakt zu ihm. Er Daskalos, stehe wie Rudolf Steiner ganz im christlichen Strom drin. Dann wörtlich: “Wir arbeiten zusammen. Es ist kein Unterschied zwischen meiner Lehre und Rudolf Steiners Lehre.”

Ob es mich interessiere, wie er Rudolf Steiners Lehre in diesem Leben begegnet sei? Nachdem ich bejaht hatte, fragte er, ob ich wisse, was Theosophie sei? Ja. Ob ich wisse, warum Rudolf Steiner die Theosaophische Gesellschaft verliess? Ja, wegen Krishnamurti, den die Theosophen als Reinkarnation des Christus ausgaben. Ob ich wisse, wer Leadbeater war? Ja. Daskalos darauf: Leadbeater, der hellsichtig war, hatte wahrgenommen, dass sich in Zypern ein Meister inkarniert hatte. Daskalos deutete auf sich und sagte: “That was me.” Eine Abordnung der Theosophischen Gesellschaft sei nach Zypern gekommen und habe ihn eingeladen, sich der Theosophischen Gesellschaft anzuschliessen und innerhalb ihr zu wirken. Wie er sich das überlegt habe, sei plötzlich Rudolf Steiner neben ihm gestanden und habe gesagt: Tu das nicht, sonst geht es dir gleich wie Krishnamurti. Und da habe er die Einladung der Theosophischen Gesellschaft abgelehnt. (Daskalos, so erfuhr ich später, war damals 26 Jahre alt.)

Im weiteren Verlauf des Gesprächs fragte mich Daskalos, ob ich wisse, wer Rudolf Steiner ist. Meine Antwort: Ich weiss darüber, was er selbst gesagt hat, und was seine intimen Schüler über ihn gesagt haben. Er nickte und sagte: ‘He is a very high being, one of the highest beings at all.’ (Er ist ein sehr hohes Wesen, eines der höchstenA Wesen überhaupt.)

Ein weiteres Thema war der Schulungsweg, Daskalos führte seine Schüler einen eigenen Schulungsweg. Ich bemerkte, dass es Anthroposophen gebe, die dadurch in eine innere Konfliktsituation gekommen sind. Da sagte er sehr dezidiert und betont: “In der Anthroposophie haben Sie alles, Sie brauchen nichts anderes. Es ist wichtig, dass Sie die Anthroposophie ernst nehmen.” Und dann wiederholte er diese Aussage nachdrücklich.

Daskalos machte mich auch darauf aufmerksam, wie Streit eine esoterische Bewegung “vergiftet” (sein Wort!) und lähmt. Auf eine entsprechende Bemerkung darauf von mir erwiderte er: “Auch wenn in der Anthroposophischen Gesellschaft viel gestritten wird (was er als sehr schlimm bezeichnete), die Anthroposophie selbst ist in Ordnung. Es ist Ihre Aufgabe, sich für die Anthroposophie einzusetzen.”

Unerwartet kam er dann auf die Christengemeinschaft zu sprechen. “Ich wurde gefragt, ob das Ehesakrament der Christengemeinschaft Gültigkeit habe, und auch die anderen Sakramente. Selbstverständlich sind sie gültig und wirksam, sogar mehr als solche anderer Konfessionen. Bei der Menschenweihehandlung ist Rudolf Steiner anwesend.”

Nun hat Daskalos den physischen Plan verlassen. Es gibt keinen Nachfolger, wie er selbst deutlich gemacht hat. Er ist eine der wenigen grossen spirituellen Persönlichkeiten dieses Jahrhunderts. Und wenn wir ernst nehmen, was wir aus der Anthroposophie wissen, dass grosse Persönlichkeiten auch nach dem Tode mit der Erde und der Menschheit verbunden bleiben und weiter im Sinne des Menschheitsfortschrittes wirken, so darf dies auch für Daskalos angenommen werden. Er war nicht nur ein Wissender, er war ein Könnender.

Günther Zwahlen (65), Dipl. Chemiker HTL im Ruhestand, ist zweiter Vorsitzender des ParaceIsus-Zweiges, Basel. Interne und öffentliche Vorträge und Kurse über Anthroposophie.

Aus dem “Goetheanum” Nr.34 3. Dezember 1995